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Lasch: Sprache und Religion (Material und Klausur)

Organisation

Lehrveranstaltung im 3. 4. und 5. Studienjahr

Zeit: Freitag, 2. DS (9:20-10:50 Uhr)
Raum: ABS E08
Beginn: 11.04.2025

Zentrale Kommunikationsplattform für die Veranstaltung ist eine MATRIX-Gruppe.

Inhalte

Den Zusammenhang von Sprache und Religion als Ideenlehre nimmt die „Religionslinguistik“ in den Blick. Sie versteht religiöse Kommunikation als einen Prozess, der die Beziehung einer Gemeinschaft zur Transzendenz gestaltet, stabilisiert und erfahrbar macht. Um diese Beziehung analysieren zu können, wird eine Kommunikationstypologie (für monotheistische Glaubenspraktiken) genutzt, die drei zentrale Handlungsformen umfasst: Verkündigung, Verehrung und Vergegenwärtigung. Verkündigung bezieht sich auf die Verbreitung der Glaubenslehre und die Vermittlung von Glaubensinhalten — Verehrung ist die Antwort darauf. Sie dient der Stabilisierung der durch die Verkündigung ausgelösten Wahrnehmung von Paradoxien, die im Glauben auftreten können. Die Vergegenwärtigung zielt darauf ab, die in der Glaubenslehre verkündete Transzendenz im Hier und Jetzt erfahrbar zu machen. Religiöse Sprache ist vor diesem Hintergrund eine funktionale Varietät, die sich durch spezifische Gegenstände, Methoden und Kommunikationsformen auszeichnet. In der Vorlesung werden Möglichkeiten und Begrenzungen des Mediums Sprache in diesem spezifischen Sinne im Vordergrund stehen.

Präsentation

Die Präsentation (*.PDF) zur Vorlesung wird auf Zenodo zur Verfügung gestellt.

Stream und Aufzeichnung

Die Vorlesung wird auf meinem Youtube-Kanal live gestreamt und steht danach als Videoaufzeichnung und im Podcast “Vorlesungen zur Linguistik und Sprachgeschichte des Deutschen” auf allen Audio- und Streamingportalen zur Verfügung.

Playlist

Klausur

Arbeitsauftrag

In Ihrem Essay bearbeiten Sie eine für die Popkultur äußerste relevante Szene: den Abschluss des Storybogens von Pulp Fiction (1994). Jules Winnfield (gespielt von Samuel L. Jackson) zitiert darin eine für ihn zentrale Passage aus der Bibel: Ezechiel 25,17. Und er legt diese zugleich aus. Das Problem: Das Zitat kommt in dieser Form zwar zwei Mal im Film (nämlich auch zu Beginn des Storybogens), aber nicht direkt in der Bibel vor. Quentin Tarantino, der Regisseur von Pulp Fiction, legte in einem Interview 1994 offen, dass er das Zitat aus dem Kung-Fu-Film The Bodyguard (1973) entnommen habe. Es gibt auch Belege dafür, dass er scherzend meine, Jules habe das Zitat einfach selbst aus The Bodyguard übernommen und nie in der Bibel geprüft.

Sie finden alles Material, das Sie zur Analyse der zweiten Passage, auf die Sie sich konzentrieren, benötigen, im Materialdokument zu dieser Klausur. Bei der Analyse können folgende Arbeitsaufträge, von denen Sie einen umsetzen (oder auch abwandeln können), Orientierung bieten:

Authentizität, Intertextualität und Deutungshoheit im religiösen Sprachgebrauch:

Diskutieren Sie, inwiefern Jules Winnfields Zitat aus Ezechiel 25,17 in Pulp Fiction, insbesondere seine nicht-biblische Herkunft und die Rezeption durch Quentin Tarantino, die religionslinguistischen Konzepte von Textualität, Intertextualität und Deutungshoheit herausfordert. Erläutern Sie dabei auch, wie „semantische Kämpfe“ um Bedeutung und Ursprung in solchen Fällen identifiziert und analysiert werden können – sie können dabei am Wort und Konzept des „Hirten“ ansetzen. Beziehen Sie sich auf die allgemeine Beschreibung der Religionslinguistik und die Bedeutung von Sprache in religiösen Vollzügen.

Bedeutung und Transzendenzbezug durch Interpretation:

Analysieren Sie Jules Winnfields wechselnde Interpretation und Umkodierung des Ezechiel-Zitats im Film – von einem „kaltblütigen Spruch“ zum Ausdruck für eine „Epiphanie“. Erläutern Sie, wie diese Entwicklung vor dem Hintergrund der religionslinguistischen Konzepte der „Ideenlehre“, des „Transzendenzbegriffs“ und der Funktion von Sprache in religiösen Vollzügen verstanden werden kann. Gehen Sie dabei auch darauf ein, wie die Expressivität menschlicher Existenz und die Stabilisierung eines Verhältnisses zu Transzendenz durch sprachlichen Ausdruck reflektiert wird.

Performanz und rituelle Kommunikation in säkularen Kontexten:

Die Szene, in der Jules das Zitat im Restaurant ab Ende des Films erneut vorträgt, ist ein starkes multimodales Ereignis. Diskutieren Sie am Beispiel dieser Szene, inwiefern multimodale Kommunikationsformen (z.B. Sprache, Gestik, Mimik, Ton, Kontext) die performative Kraft des Zitats und seine Wirkung auf die Adressaten und Jules selbst beeinflussen. Beziehen Sie dabei die Kategorien von Sprechakten (insbesondere kommissive und deklarative Sprechakte) und die Beschreibung ritueller Handlungen mit ein. Erörtern Sie, ob und, wenn ja, inwiefern hier eine inszenierte „rituelle Einbettung“ zu beobachten ist, die – auch außerhalb eines traditionell religiösen Rahmens – die Produktion „ritueller Bedeutung“ beeinflusst – der Schlüssel liegt im Wort und Konzept des „Charismas“.

Religiöse Sinnstiftung und Machtausübung:

Erörtern Sie anhand des Beispiels von Ezechiel 25,17 aus Pulp Fiction die Aneignung und Umdeutung religiöser Sprachmuster in außerreligiösen Kontexten, insbesondere zur Legitimierung von Handlungen. Diskutieren Sie hierbei das Konzept der „Sendung als Ermächtigung“ bei der sprachlichen Konstruktion von Wirklichkeit. Vergleichen Sie die Szene in Pulp Fiction mit der Deutungsoffenheit der Landverheißung, um zu beleuchten, wie (fehlende) rituelle Einbettung die Interpretationsspielräume beeinflusst.

Material

Pulp Fiction (Ezechiel 25,17)

Brad (Kontext und Bezugsstelle des Analysebeispiels) – Triggerwarnung: Physische und verbale Gewalt (Diskriminierung)

Pumpkin (Analysebeispiel) – Triggerwarnung: Verbale Gewalt (Diskriminierung)

Jules Winnfield: Liest du die Bibel, Ringo?

Pumpkin (‚Ringo‘): Nicht regelmäßig, nein.

Jules Winnfield: Da gibt’s eine Passage, die ich fast auswendig kann und die gut passt: Ezekiel 25,17. „Der Pfad der Gerechten ist zu beiden Seiten gesäumt mit Freveleien der Selbstsüchtigen und der Tyrannei böser Männer. Gesegnet sei der, der im Namen der Barmherzigkeit und des guten Willens die Schwachen durch das Tal der Dunkelheit geleitet, denn er ist der wahre Hüter seines Bruders und der Retter der verlorenen Kinder. Und ich will große Rachetaten an denen vollführen, die da versuchen, meine Brüder zu vergiften und zu vernichten. Und mit Grimm werde ich sie strafen, auf dass sie erfahren sollen, ich sei der Herr, wenn ich meine Rache an ihnen vollbracht habe.“

Also, den Spruch bringe ich jetzt schon seit Jahren, und wer immer ihn gehört hat, wusste: Es geht um seinen Arsch. Ich habe nie viel darüber nachgedacht, was er bedeutet. Ich fand einfach, das ist ein ziemlich kaltblütiger Spruch, den ich einem Wixer erzählen konnte, bevor ich ihn umlegte. Aber heute Morgen habe ich etwas gesehen, das mir zu denken gab. Verstehst du? Im Moment, denke ich, vielleicht bedeutet es, du bist der böse Mann und ich bin der rechtschaffene Mann, und Mr. 9 Millimeter hier ist der Hirte, der meinen schwarzen Hintern im Tal der Dunkelheit beschützt. Es könnte auch bedeuten, du bist der rechtschaffene Mann und ich bin der Hirte, und dass es die Welt ist, die böse und selbstsüchtig ist. Tja, das gefällt mir. Aber dieser Quatsch ist nicht die Wahrheit. Die Wahrheit ist: Du bist schwach und ich bin die Tyrannei der bösen Männer. Aber ich bemühe mich, Ringo, ich verspreche, ich gebe das Beste, was ich kann, um der Hirte zu sein.

Ezechiel 25 (Luther 2017)

Gericht über die Nachbarn Judas

1 Und des HERRN Wort geschah zu mir: 2 Du Menschenkind, richte dein Angesicht gegen die Ammoniter und weissage gegen sie 3 und sprich zu den Ammonitern: Hört das Wort Gottes des HERRN! So spricht Gott der HERR: Weil ihr über mein Heiligtum ruft: „Ha! Es ist entweiht!“, und über das Land Israels: „Es ist verwüstet!“, und über das Haus Juda: „Es ist weggeführt!“, 4 darum siehe, ich will dich den Söhnen des Ostens übergeben, dass sie ihre Zeltdörfer in dir aufschlagen und ihre Wohnungen in dir bauen sollen; sie sollen deine Früchte essen und deine Milch trinken. 5 Und ich will Rabba zur Kameltrift machen und das Land der Ammoniter zu Schafhürden, und ihr sollt erfahren, dass ich der HERR bin. 6 Denn so spricht Gott der HERR: Weil du in die Hände geklatscht und mit den Füßen gestampft und über das Land Israels von ganzem Herzen so höhnisch dich gefreut hast, 7 darum siehe, ich will meine Hand gegen dich ausstrecken und dich den Völkern zur Beute geben und dich aus den Nationen ausrotten und aus den Ländern austilgen und dich vernichten; und du sollst erfahren, dass ich der HERR bin. 8 So spricht Gott der HERR: Weil Moab und Seïr sprechen: „Siehe, das Haus Juda ist nichts anderes als alle Völker!“, 9 siehe, so will ich die Berghänge Moabs bloßlegen, dass es ohne Städte sei in seinem ganzen Gebiet, ohne den Stolz des Landes: Bet-Jeschimot, Baal-Meon und Kirjatajim, 10 und will es den Söhnen des Ostens zum Erbe geben, zum Land der Ammoniter hinzu, sodass man der Ammoniter nicht mehr gedenken wird unter den Völkern. 11 Und ich will das Gericht ergehen lassen über Moab, und sie sollen erfahren, dass ich der HERR bin. 12 So spricht Gott der HERR: Weil sich Edom am Hause Juda gerächt und sich schwer verschuldet hat mit seiner Rache, 13 darum, so spricht Gott der HERR: Ich will meine Hand ausstrecken gegen Edom und will von ihm ausrotten Menschen und Vieh und will es wüst machen von Teman bis nach Dedan, und sie sollen durchs Schwert fallen. 14 Und ich will mich an Edom rächen durch mein Volk Israel, und sie sollen mit Edom umgehen nach meinem Zorn und Grimm, dass sie meine Vergeltung erfahren sollen, spricht Gott der HERR. 15 So spricht Gott der HERR: Weil die Philister sich gerächt und mit beständigem Hass so höhnisch Rache geübt haben, um mein Volk zu verderben in ewiger Feindschaft, 16 darum, so spricht Gott der HERR: Siehe, ich will meine Hand ausstrecken gegen die Philister und will die Kreter ausrotten und will umbringen, die übrig geblieben sind am Ufer des Meeres, 17 und will bittere Rache an ihnen üben und sie mit Grimm strafen, dass sie erfahren sollen, dass ich der HERR bin, wenn ich Vergeltung an ihnen übe.

INTERVIEW WITH QUENTIN TARANTINO by Michel Ciment and Hubert Niogret (Cannes 1994)

Positif: Where did you get the idea of having him quote the book of Ezekiel?

Quentin Tarantino: This quote had a funny origin. I heard it for the first time in a kung-fu film, The Bodyguard, where it appeared in the prologue. Then I located it in the Bible in a slightly different version. I’d also seen a Japanese ninja series on TV called Shadow Warriors which is the best cartoon I’ve seen on the screen. The action takes place in ancient Japan, between the good guys who want to open the country to Western influence and the bad guys who are isolationists. There’s this group of ninjas who answer to no one and who, during the day, are complete imbiciles working as waiters in a restau­rant, but at night, they are fearsome warriors.

At the end of each episode, there was a mortal combat where the chief of the Shadow Warriors, before killing his adversary, would make an inter­minable speech about the necessity for exterminating evil. The guy who had to listen to this speech was sure to die in the end! My friends and I were always fascinated by these endings, which we found cool and poetic. It was in this spirit that I put the quotation from Ezekiel in Jules’ mouth. When I was writing the scenario, I realized that in the final scene in the coffee shop, Jules couldn’t say this religious epiphany in the same way as he’s said it before. After using it for ten years, for the first time he realizes what it really means. And that’s the end of the film.

„Pulp Fiction“ zitiert nicht die Bibel, sondern alten Kampfsportfilm

In einem Interview von 1994, das er bei den Filmfestspielen von Cannes führte, erzählte der Oscarpreisträger, dass er sich das lange „Hesekiel“-Zitat nicht aus der Bibel abguckte, sondern aus einem in Europa weitgehend unbekannten japanischen Kung-Fu-Film namens „The Bodyguard“ von 1973. Der Film eröffnet mit einer Texttafel, die fast Wort für Wort exakt das lange Zitat zeigt, welches man heute aus „Pulp Fiction“ kennt. Und schon dort wird als Urheber der Ansprache die Bibel und „Hesekiel 25:17“ angegeben.

Tarantino beeindruckte diese lange Rede in „The Bodyguard“ sehr und er wollte ihr unbedingt Tribut zollen – es war ihm dann auch egal, dass es so nicht wirklich exakt in der Bibel stand. Heute scherzt er häufig, Jules habe das Zitat einfach selbst auch aus „The Bodyguard“ entnommen und nie in der Bibel nachgelesen.

Der japanische Kampfsportfilm war für Quentin Tarantino so prägend, dass er später noch einmal eines seiner Projekte beeinflusste. „The Bodyguard“-Hauptdarsteller Sonny Chiba wurde von ihm für seine beiden „Kill Bill“-Filme in einer Doppelrolle besetzt.

 

 

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