Alexander Lasch
Lies diesen Text in Afrikaans oder Englisch via Google Translate. Crosspost eines MKNetwork-Artikels.
Christian Ignatius Latrobe (1758 – 1836) besuchte 1815 und 1816 die Kapkolonie und berichtete von seinem Besuch im Journal of a Visit to South Africa in 1815 and 1816: With Some Account of the Missionary Settlements of the United Brethren, Near the Cape of Good Hope, das 1818 in Kapstadt erschien. Etwas über 200 Jahre später können wir in Südafrika dank der Förderung des Projekts #DigitalHerrnhut im Verbund virTUos durch die Stiftung Innovation in der Hochschullehre unserem Konzept der virtuellen Exkursionen von Stellenbosch aus weitere sehr wichtige Bausteine hinzufügen — die Missionen in Groenekloof (heute Mamre) und Baviaanskloof (heute Genadendal).
Ziel der Exkursion ist aber nicht nur die Erweiterung unserer virtuellen Modelle Herrnhuter Siedlungen, sondern auch der Aufbau internationaler Lehr- und Lernkooperationen mit der Universität Stellenbosch. Und darüber berichten wir in diesem Blogbeitrag, gewissermaßen als einem modernen, digitalen, Journal of a Visit to South Africa in 2024.
Stellenbosch (18.02.2024)
Heute haben (von rechts nach links) Juan Garcés (SLUB), Marlene Wolf (TUD, virTUos), Robert C. Schuppe (TUD, virTUos) und ich, Alexander Lasch, auf der Spier Wine Farm in Stellenbosch die Pläne für die nächsten Tage besprochen.
Mamre / Groenekloof (19.02.2024)
Heute sind wir von Stellenbosch aus nordwärts nach Mamre gefahren, das in unseren Quellen, darunter Latrobes Journal, als Groenekloof geführt wird. Dies ist nach Baviaanskloof (Genadendal) die zweitälteste Mission der Herrnhuter in Südafrika, die bald nach der Erlaubnis 1808 eingerichtet worden ist. Da wir nichts Tragbares über den Zustand der ehemaligen Missionsstation in Erfahrung bringen konnten, war unsere Idee, dass wir wenigstens Fotos vor Ort und einen Rundgang mit einer 360°-Kamera machen, um einen Eindruck von Groenekloof zu vermitteln. Das Minimalziel war, den Fokus, den Latrobe für seine Illustration wählte, einzufangen.
Eine echte Überraschung war für uns, dass wir vor Ort als spontane Besucher:innen, von Rev. J. Redcliffe und Martin herzlich begrüßt, eine Führung durch den kleinen Ort bekamen, etwas über die Nutzung der Kirche in Erfahrung brachten, den Gottesacker besuchen und ein Modell des Innenraums der Kirche sowie ausgewählte 360°-Aufnahmen erstellen konnten — also genau das, was wir uns insgeheim erst von Genadendal (Baviaanskloof) erhofft hatten.
Am Nachmittag hatten Juan Garcés und ich die Gelegenheit, uns mit Prof.in Nox Makunga (Stellenbosch University) über unsere Ideen bzgl. der Erschließung der Archive der Moravians auszutauschen, und sind gespannt, ob sich hieraus erste Möglichkeiten für eine Kooperation im Hinblick auf den Austausch bzgl. planzenkundlichen / medizinhistorischen Wissens ergeben.
Stellenbosch (20.02.2024)
Today we met people klingt wesentlich runder als seine deutschen Entsprechungen — aber genau das stand heute auf der Agenda.
Gemeinsam mit Dr. Pieter Boon, der uns auch morgen nach Genadendal begleiten wird, sprachen wir nach dem Frühstück mit Prof. em. Jan Botha, bei ihm promovierte Juan, und trafen danach am Africa Open Institute for Music, Research and Innovation (AOI) Prof. Stephanus Muller, Dr.in Hilde Roos & Dr.in Esther Marié Pauw, um über Erschließungsprojekte zu sprechen. Besonderes Interesse habe ich an den Ideen über „Reimagining Sounds“ — denn hier treffen sich unsere Forschungsschwerpunkte im Hinblick auf abgeschnittene musikalische und sprachliche indigene Traditionslinien; auch Jan Botha brachte das Thema „Klang“ auf und wir dachten knapp über die Möglichkeit nach, im Kontext unserer Projektideen stärker phonetische Aspekte mit zu berücksichtigen. Außerdem war Rudolph „Rudi“ Engel, Vertreter der Moravian Brass Band Union of South Africa (BBSA), mit im Gespräch — wichtiges Thema und Anliegen war ihm, dass man auch auf die reiche gelebte Musiktradition (Brass Band Festival Mamre 2019 Part 1 | Part 2) der Moravians ein besonderes Augenmerk haben sollte. Davon sind auch wir überzeugt. Am Nachmittag sind wir noch einmal mit Prof.in Nox Makunga verabredet, die, wie Dr. Pieter Boon, direkte Kontakte nach Genadendal hat — dorthin brechen wir morgen kurz nach 7.00 auf und ich bin schon sehr gespannt.
Genadendal / Baviaanskloof (21.02.2024)
Heute besuchten wir in Genadendal, wie unsere Quellen sagen würden. Genadendal / Baviaanskloof ist die älteste Mission der Moravian Church in Südafrika — es war überwältigend. Und mit großer Wahrscheinlichkeit reisten wir angenehmer als Latrobe, dessen Wagen in Genadendal ausgestellt ist.
Wir konnten uns mit Rev. Godfrey Cunningham, bis vor zwei Jahren Präsident der Moravian Church in South Africa und nun Minister in Genadendal, Dr. Isaac Balie, Judith Balie, seiner Tochter, die das von ihrem Vater aufgebaute Museum in Genadendal heute leitet, Odette e Weir, Museum Officer at Shipwreck Museum and Chief Auxiliary Service Officer at Western Cape Government, sowie Rev. Robert Edson, Minister in Genadendal, über die aus unserer Sicht sehr besondere Geschichte Genadendals austauschen.
Nach einer Führung durch die Museumshäuser besichtigten wir auch den Gottesacker und auf dem Weg dahin die dritte Generation des Birnbaums, der vom ersten Missionar in Genadendal, Georg Schmidt, gepflanzt wurde.
In den Archiven konnten wir uns einen knappen Überblick verschaffen über handgeschriebene und gedruckte Bestände und fanden bestätigt, dass die handgeschriebenen und gedruckten Nachrichten nach 1819 verschiedenen Inhalts sind — hier wartet also noch eine Menge Arbeit auf uns, um zu verstehen, welche Texte ihren Weg ins gedruckte Periodikum fanden.
Daneben harren Diarien und auch andere Quellen der digitalen Erschließung, die in Genadendal nicht unter optimalen Bedingungen gelagert sind.
Wie und ob wir dabei helfen können, stimmen wir in den nächsten Tagen und Wochen ab, wenn wir eine Strategie zur Digitalisierung mit verschiedenen Arbeitspaketen entworfen haben. Nur eines ist dabei klar: Wir müssen uns beeilen und diese Ansicht teilen wir auch mit Judith. Wir erhoffen uns, dass wir Unterstützer:innen mittels unserer Modelle (von Kirche und Museum) für Genadendal begeistern können.
Besonderes Interesse weckten neben den Archiven und den dort verfügbaren Texten die Musikinstrumentensammlung und die Tischlerei im Museum bei uns. Eine (!) der besonderen Geschichten könnte die von Johann Michael Peterleitner (1769-1829) sein, der 1810 nach Genadendal berufen wurde, 1811 dort ankam und eine Möbeltischlerei aufbaute. Er ist im Brandenburgischen geboren und lernte die Stellmacherei von seinem Vater. Nach den Gesellenjahren und der Wanderschaft kam er nach Herrnhut, erhielt Erlaubnis zur Gemeine und ließ sich dann, mit großer Wahrscheinlichkeit als Stellmacher, in schlesischen Gnadenfrey nieder. Nach dem Brand in Gnadenfrey 1792 kam er als Stellmachermeister ins Chorhaus der ledigen Brüder nach Niesky. Mit seiner ersten Frau ging er in die Mission nach Paramaribo an der Suriname, kehrte nach deren Tod nach England zurück. Dort lernte er Niederländisch und erhielt 1810 den Ruf zur Mission nach Südafrika. Er ist in Genadendal bestattet und machte als Möbeltischler Genadendal für diesen Stuhl bekannt:
Seine Lebensbeschreibung ist 1832 in den Nachrichten aus der Brüder-Gemeine — ein sehr interessanter hybrider Text aus Bericht und Lebensbeschreibung — veröffentlicht, also genau in dem Heft, das wir im Archiv in der Hand hatten.
Dieses liegt uns glücklicherweise in digitalisierter Form vor — aufgefunden haben wir die zentralen Belegstellen über die Nachrichten im Deutschen Textarchiv, wo die gedruckten Nachrichten als DigitalHerrnhut GERMAN OPEN (Version 1.2) zugänglich sind. Welche Bezüge Peterleitner zu den Stuhlbauern im sächsischen Rabenau hatte, ist derzeit noch nicht klar, aber die Ähnlichkeit zwischen den Möbeln, nicht nur den Stühlen, ist bemerkenswert. Möglicherweise liegt der Schlüssel in seiner Zeit in Niesky (1798-1803) und den personellen Verbindungen, die sich von dort aus rekonstruieren lassen. Und das ist nur eine Geschichte, die wir aus Genadendal mitbringen.
Stellenbosch (22.02.2024)
Heute Vormittag haben wir unsere Eindrücke von Mamre und Genadendal sortiert. Dann recherchiert, Pläne geschmiedet und erste Ideen gesammelt, wie wir tragfähige Kooperationen aufbauen können. Am Nachmittag trafen wir Andrew Kok, Manager of the Archives of the Dutch Reformed Church of South Africa, und Ed Kerby, Wirtschaftswissenschaftler an der Universität Stellenbosch, beteiligt am Projekt Time Traveller, um Schnittmengen und gemeinsame Interessen auszuloten.
Cape Town (23.02.2024)
Am letzten Tag unserer Reise hatten wir die Freude, Dr. Jeremy Wyngaard, Director of the Moravian Theological Centre, und Rev. Isaacs, former Director and Archivist at the Moravian Theological Centre, zu treffen. Die Archivbestände, die wir sehen durften, haben uns sehr begeistert.
Es freut uns sehr, dass Jeremy Wyngaard sehr aufgeschlossen ggü. gemeinsamen kollaborativen Lehr- und Lernsettings ist, zu denen es auch Gelegenheit geben wird. Juan und Pieter zeigten ihm und Rev. Isaacs u.a. die von uns genutzte Transkriptionsumgebung eScriptorium:
Dem aufmerksamen Blick werden auf dem Bild die Archivboxen nicht entgehen, in denen u.a. Diarien der Missionsstationen (hier Shiloh) derzeit gelagert werden. Jeremy hatte drei Diarien aus Genadendal vorbereitet, in denen u.a. „J. M. P. Leitner“ den Jahresabschluss 1813 notiert.
Und noch mehr freut uns, dass wir später die Gelegenheit hatten, persönlich mit Rev. Martin Abrahams, President of the Moravian Church of South Africa, und Prof. Dr. Karlie August (Universität Stellenbosch), Minister of the Moravian Church, über mögliche Zielstellungen von Digitalisierungsprojekten und andere Möglichkeiten der Zusammenarbeit zu sprechen. Der Besuch heute ist ein für uns höchst bemerkenswerter Abschluss unserer Reise und zugleich der Anfang interessanter Kooperationsmöglichkeiten. Und gewiss ist, wie man nach dem Lehrtext vom 24. Februar sagen könnte (Röm 15,29): Wenn ich (wieder) zu euch komme, werde ich mit dem vollen Segen Christi kommen. Und dafür bin ich dankbar.
Meißen (25.02.2025)
Dankbar bin ich auch dafür, was wir in den letzten Tagen erleben durften. Und wenn man die Glocke von Genadendal schon unmöglich in Stellenbosch hören kann, so kann ich sagen, dass sie nach Dresden nicht verklingen wird.
Es gibt einige Ideen, die wir in den nächsten Tagen und Wochen ordnen werden, um für die vielen kleineren Projekte, die es anzugehen gilt, im MKNetwork einen Rahmen zu schaffen.
Viele Ideen können wir mit #virTUos umsetzen — z.B. die Kooperation mit dem Moravian Theological Centre. Für anderes brauchen wir Hilfe und Unterstützung; das schaffen wir nicht allein. Darum geht es aber wohl, eine gemeinsame Basis für ein gemeinsames Projekt zu schaffen, das viele Jahre trägt.