Der Titel, unter dem ich meine Überlegungen zu den #BedeutungsFormPaaren fortsetzen möchte, deutet auf ein zentrales Erklärungsproblem der gebrauchsbasierten kosntruktionsgrammatischen Ansätze hin — nämlich: Wie kann man plausibel erklären, dass z.B. in unterschiedlichen sozialen Kontexten unterschiedliche kommunikativ perspektivierte Konstrukte Instanzen kognitiv perspektivierter Konstruktionen werden?
Eine Antwort darauf ist sehr voraussetzungsreich und schließt nicht nur kontextuelle Gebrauchssituationen sondern unter anderem auch variationslinguistische Faktoren (historisch, areal, funktional usw.) ein. In unterschiedlichen Studien wurden immer wieder „pragmatische“, „diskursfunktionale“ oder „situative“ ‚Bedeutungselemente‘ für Konstruktionen postuliert (z.B. Croft, Östman bzw. die interaktional-konstruktionsgrammatischen Ansätze). Allerdings wurden diese ebenso häufig zurückgewiesen, wie stärker eingefordert: Wer sich einen Eindruck von der internen Diskussion machen möchte, kann z.B. im Oxford Handbook of Construction Grammar besonders darauf achten, wer die Konzentration auf „grammatische Konstruktionen“ und damit die Abgrenzung von einer wie auch immer gearteten „Pragmatik“ fordert (z.B. Goldberg, Hoffman, Stefanowitsch usw.).
In meinen Studien zu unterschiedlichen konstruktionalen Strukturen des Deutschen habe ich aus forschungspraktischen Gründen diese Ausklammerung ebenfalls expliziert — immer aber mit dem Hinweis, dass wir hier eine offene Flanke haben, um die wir uns zeitnah bemühen müssen. In den angesprochenen Studien z.B. von Croft oder Östman irritierte mich dabei aber immer, dass man pragmatische, diskursfunktionale oder situative Bedingungen in die Konstruktionsbedeutung einzuschreiben gedachte. Dabei ist die Wahl nicht Teil der abstrakten Konstruktionsbedeutung, sondern etwas, das daneben und zusätzlich zu analysieren sei. Wir haben im Hinblick auf das Konstruktikon also neben kognitiv perspektivierten Konstruktionen und kommunikativ perspektivierten Konstrukten eine dritte Analyseebene zu berücksichtigen.
Allerdings sollte man nicht die Prämissen eines anderen theoretischen Ansatzes unreflektiert in das eigene Modell integrieren; die nachträglichen Korrekturen könnten den ersten Erklärungsgewinn schnell zunichte machen. Was meine ich damit? Pragmatische Ansätze bspw. gehen von einem intentionalen Sprechhandlungskonzept aus — das zeigt sich auch terminologisch am Begriff „Handlung“. Diese setzt nämlich konzeptuell Agentivität voraus. Das wiederum bedeutet, dass ich Bedeutungskomponenten aufnehmen müsste, die zumindest nicht explizit ausgeschlossen auf einem intentionalen Handlungskonzept fußen. Das allerdings widerspricht den kognitionslinguistischen Ansätzen, die gerade diese Intentionalität, also die bewusste Wahl eines handlungsmächtigen Individuums, in Frage stellen. Ähnlich gestaltet sich dies bei der so genannten „Diskursfunktionalität“, auch hier ist akteurshaftes Handeln impliziert oder zumindest nicht explizit relativiert. Aus meiner Sicht ist es also eher hinderlich, wenn man — wie in Bezug auf Pragmatik oder Diskurslinguistik gerade angedeutet — aus anderen Fachgebieten deren Erklärungsansätze borgt, ohne dabei die zugrundeliegenden Prämissen mit denen des eigenen Ansatzes abzugleichen.
Einfacher ist es, wenn wir uns bei dem Paradigma bedienen, aus dem die Konstruktionsgrammatik hervorgegangen ist — der kognitiven Linguistik. Ohne die Diskussion hier jetzt im Detail führen zu können oder wollen, seien einige zentrale Punkte einer Argumentation zumindest genannt. Ausgehen möchte ich von der Prämisse, dass uns Menschen die kognitive Fähigkeit eigen ist, dass wir anderen Menschen absichtsvolles Verhalten unterstellen und darauf gepolt sind, uns daran zu orientieren — in der kognitiven Linguistik ist damit nach Tomasello das Konzept joint attention verbunden und etabliert. In der Nachfolge Tomasellos wurde dieses Konzept z.B. durch Zlatev erweitert zur mutually shared attention und Hutchkins sowie Verhagen zur coordinated group cognition (siehe Abbildung).
Basal ist dabei weiterhin die Auffassung, dass diese Orientierung am anderen uns zum größten Teil unbewusst ist und uns nicht-intentional unterläuft. Auch Entscheidungs- und Wahlprozesse sind davon betroffen und uns zum größten Teil nicht bewusst. Dass wir überhaupt in wenigen Situationen meinen, eine Wahl zu haben und diese reflektieren zu können, deutet darauf hin, dass wir kognitiv auch dazu befähigt sind, z.B. auf Erwartungshaltungen einer Gruppe (und damit im Hinblick auf eine coordinated group cognition) adäquat intentional zu reagieren. Es heißt zugleich nicht, dass dies unser Verhalten in Gänze adäquat erklärte in einem entsprechenden vom intentional handelnden Subjekt aus gedachten pragmatischen Handlungsansatz.
Ich möchte daher vorschlagen, den Link zwischen kognitiv perspektivierter Konstruktion und kommunikativ perspektiviertem Konstrukt und die damit verbundenen Wahlmechanismen, die uns größtenteils unterbewusst unterlaufen, mit dem Konzept der coordinated group cognition zu relationieren.
- Theoretisch greife ich damit zum einen ein Beschreibungsmodell auf, das der Konstruktionsgrammatik als kognitiver Grammatik adäquat ist, da es auf den selben Prämissen fußt.
- Ich expliziere damit weiter, dass es einen entsprechenden Link und damit Wahlmechanismen zwischen Konstruktionen und Konstrukten gibt, diese sich aber größtenteils unserem Bewusstsein entziehen.
- Die Auswahl, die wir in den seltensten Fällen — z.B. in der Wahl einer Formulierungsalternative — intentional treffen, ist durch die Struktur unseres Sprachwissens (das aus dem Gebrauch emergiert) entscheidend vorgeprägt und dementsprechend keine ‚freie Wahl‘ eines ‚freien Geistes‘.
- Mit der Relationierung zur coordinated group cognition ist eine Analyseebene vorgeschlagen, die einen neuen Forschungsgegenstand markiert, aber nicht jetzt dazu verpflichtet, unterschiedliche Aspekte dieser Relation in die Konstruktionsbedeutung einer schematischen Konstruktion einzuschreiben.
- Mittelfristig können bei einer Konzentration auf dieses Linking im Konstruktikon Cluster von Konstruktionen beschrieben werden, die für bestimmte Varietäten, Gebrauchszusammenhänge usw. prototypisch sind. Es etabliert sich also ein weiterer Knoten auf einer Zwischenebene im Konstruktikon, der Variation erklären hilft.
Auf Basis dieser Setzungen lässt sich die oben gewählte Darstellung der internen Struktur einer Konstruktion vorerst wie folgt erweitern: